NORA oder ein Puppenheim
Teresa Trauth
NORA HELMER
Timo Tank
TORVALD HELMER
Anja Lechle
CHRISTINE LINDE
Rebekka Suninen
AU-PAIR
Sebastian Kreutz
NILS KROGSTAD/IVAR
André Wagner
DOKTOR RANK/BILLY
Fotos:
©Jochen Klenk
[...] Daß die Inszenierung sich da nicht festfuhr und in billiger Gaudi versank, hat sie den vorzüglichen Schauspielern zu verdanken, die [...] aus dem Abend eine Sternstunde darstellerischer Brillianz machten. Insbesondere Teresa Trauth [...] fand zu einer wunderbaren Leistung von mustergültiger Schlüssigkeit, entwickelte ihre großen Momente und steigerte sich zu einem fulminanten, bewegenden Portrait.
Ihr zur Seite ein Ensemble von glänzenden Darstellern und außerordentlich plastisch modellierten Charakteren: Anja Lechle als beklemmend verklemmte, brilliant ungelenke Frau Linde, Timo Tank als flötender Ehe-Despot, schwülstig verlogener und ebenso gemütvoller wie brutaler Pascha Torvald und auch der fabelhafte Sebastian Kreutz als zum äußersten gespannter, von innerer Not getriebener Krogstadt (sic!) lieferten hinreißende Studien auf hohem Niveau. [...]
(rg), Die Rheinpfalz, 29.09.04
ATEMBERAUBENDE PRÄSENZ
Wie er dasteht. Wie dieses versteinerte Gesicht arbeitet. Als würde Granit knistern. Der Körper: geballte Beherrschung. Gespeist aus dem unerbittlichen Willen: nie wieder. Nie wieder. Sebastian Kreutz spielt den Rechtsanwalt Krogstad in Anke Bußmanns Inszenierung des Ibsen-Dramas „Nora“, das jetzt in Karlsruhe Premiere hatte. Nicht einen Augenblick läßt Kreutz Zweifel aufkommen: Es ist ihm ernst - als Darsteller und als der, den er darstellt. Ohne sich zu rühren, allein durch seine Präsenz, durch einen langen, spannenden Moment des Wartens macht er klar, dass dieser Krogstad mit der Gnadenlosigkeit seiner Existenzangst zu allem fähig ist.

Das ist das Aufregende, atemberaubende an dieser Produktion des Badischen Staatstheaters: die präzise Intensität, mit der die Schauspieler in ihren Rollen aufgehen. Wie sie dastehen. Wie sie einfach da sind. Das gilt für Kreutz so gut wie für Teresa Trauth oder Timo Tank, selbst für Rebekka Souninen (sic!),die doch nur ein Kindermädchen spielt und wie ein Luder daherkommt: lässig, lasziv und voller Verachtung für die gnädigen Herrschaften. Oder Anja Lechle als Frau Linde. Einfach faszinieren (sic!) oder beklemmend, je nachdem wie sie auf die Bühne kommt: irgendwie unbeholfen, eckig, ungelenk. Bieder, solide. Durch und durch Gummisohle. Aber doch mit sich selbst im Reinen. Sie hat hart arbeiten müssen, hat sich aufgeopfert für die Familie. „Aber das ist wahr: Ich bin stolz darauf, dass es mir vergönnt war, meiner Mutter einen sorgenfreien Lebensabend zu schaffen,“ sagt Anja Lechle alias Frau Linde mit der milden Überheblichkeit des Gutmenschen und doch zugleich voll liebenswerter Würde: Wieviel Verzicht und Einsamkeit stehen hinter diesem Satz. [...]
Ibsen hat ein Stück geschrieben, in deren (sic!) Mittelpunkt (nicht nur) die Frauenemanzipation am Ende des 19. Jahrhunderts steht; Auslöser waren Vorgänge in Rom, wo der Skandinavische Verein zwei Anträge zur Gleichstellung der Frau innerhalb dieses Kreises abgelehnt hatte. Das ist lange her, und so hat die Regisseurin Anke Bußmann einige markante Aktualisierungen vorgenommen. Schauplatz ist eine Wohnung im Umbau, die Simone Manthey als Trash-Ambiente mit Klo-Schüssel, offenen Elektro-Anschlüssen und Großschirm-Fernseher ausgestattet hat. Doktor Rank, von André Wagner vor allem in den ersten beiden Akten mit ironisch-melancholischer Todesverachtung gespielt, leidet nicht mehr an Rückenmarksschwindsucht, sondern an Aids, und an Weihnachten werden Artikel sämtlicher Marken ausgetauscht, die in deutschen Einkaufsstraßen vertreten sind.
Bußmann läßt Nora im 21.Jahrhundert ankommen. Dadurch tritt die Aktualität einzelner Aspekte des Stücks - die Jagd nach materiellem Besitz, die soziale Abgrenzung von oben nach unten - besonders deutlich hervor. [...]
Denn wie etwa Timo Tank als Helmer die gesamte Klaviatur von niedlicher Herablassung bis knallhartem Machotum durchspielt, ist einfach grandios. Eindrucksvoll auch Teresa Trauth in der Titelrolle: realitätsfern, fahrig, neurotisch, hilflos, herzensgut und am Ende ein Häufchen Elend, das - in Anlehnung an Ibsens zweite Fassung des Stücks - nicht etwa den Weg in die Freiheit wählt, sondern zusammen mit dem Gatten vor dem TV-Gerät endet.
Sehenswert.
Michael Hübl, BNN, 25./26.09.04
MAKING OF FERNSEHPROGRAMM
NORA oder ein Puppenheim