Kann man auf der Bühne Langeweile spielen, ohne selbst langweilig zu werden? Nils Torpus und Eric van der Zwaag versuchen es zumindest, und zwar im neuen Tonne-Stück unter der Regie von Anke Bußmann. Und es gelingt so naja. Sie haben Heiner Müllers "Quartett" - eine intellektuelle und recht nihilistische Wiederaufbereitung der "Gefährlichen Liebschaften" - mit unzähligen Regiegimmicks zu ihrer ganz eigensinnigen Sache gemacht: Die beiden aristokratischen Verführungsfachkräfte Vicomte de Valmont und Marquise de Merteuil schlagen die Zeit tot, indem sie mit ihren höchstverkünstelten Abschleppmethoden und Intrigen den Rest der Frauen- und Männerwelt in den Abgrund und Liebestod stürzen.
Während es beim sportiven Liebeswettstreit zwischen den beiden Protagonisten in Choderlos de Laclos Briefroman allerdings noch gewaltig prickelt, sind sie in Müllers Version schon längst über jegliche Empfindungen hinweg und scheinen auf ewig dazu verdammt zu sein, mit ihren Liebes- und Machtspielchen gegen die Langeweile anzukämpfen. Erfolglos versteht sich, denn Ewigkeit ist ja schon per Definition langweilig. Nicht einmal der Highlander will ewig leben, wie er am Ende der Tonne-Inszenierung per Videobotschaft mitteilen lässt.
Regisseurin Anke Bußmann jedenfalls hat sich schauspielerisch für eine recht radikale Version entschieden: Vielleicht inspiriert von dem monotonen Geleier, mit dem Heiner Müller selbst sein "Quartett" intoniert hat - auf einer Tonaufnahme, die immer wieder aus dem Jenseits eingespielt wird -, übertrumpfen sich auch Nils Torpus und Eric van der Zwaag in immer neuen Variationen des Anti-Schauspiels, mit unzähligen Spiel-Arten und Tonfall-Varianten, die möglichst gar nichts mit dem Inhalt des jeweils gesprochenen Textes zu tun haben.
Und so spielen sie zwischen einer Ansammlung von Lebensmüll - Mikrowelle, Ledersessel, Turnbock, Schreibmaschine (Bühne: Simone Manthey) - betont unverschauspielert zwei abgehalfterte, ranzige und ramponierte, aber immer noch hoffnungslos arrogante Altkleider-Adlige (Kostüme: Christine Haller), die schon alles erlebt haben.
In spätbarocker Dekadenz schlurfen sie absolut unsexy übers Parkett, verräumen ihre Möbel und versuchen vergeblich, ihre phallischen Zigarren anzurauchen, denn die "Feuerzeuge sind alle alle". Sie hantieren mit einer Videokamera, die das Ganze auch noch vervielfältigt, machen ein bisschen lustlosen Porno, versuchen sich an menuetten Tanzschrittchen und singen leidenschaftslos Karaoke: "Youd lost that loving feeling".
Sie spielen Darts und mit Zetteln auf der Stirn "Wer bin ich?" "Bin ich ein Mann? Bin ich nicht tot? Bin ich ein Österreicher? Bin ich Hitler?" Wer zuerst etwas fühlt, hat verloren. Dabei leiern sie ihre Monologe runter und labern ihre Liebesopfer voll mit pseudofrommem Schwulst. Die Wortwahl erinnert manchmal ein wenig an die abgehörten Telefongespräche zwischen Charles und Camilla. Und so scheinen sie wie Sisyphus auf Syphilis immer und immer von vorne anfangen zu müssen, so abgeleiert performen sie ihren Text und Sex. Anke Bußmann hat ihr Endzeit-Spiel außerdem als ein ewiges "Warten auf den Pizzaboten"-Anti-Happening angelegt. Und wie bei Beckett taucht auch hier am Ende ein (Pizza-)Bote auf (Raoul Muck), der - vielleicht als Abgesandter von Godot Heiner Müller - noch ein Müller-Gedicht zum Besten bringen darf.
Zuvor tauschen Nils Torpus und Eric van der Zwaag munter ihre Rollen hin und her, groß angekündigt wiederum vom Autor persönlich aus dem Off: "Das muss man wissen, sonst versteht man das nicht." Aber eigentlich ist es auch egal, wer hier wen abspielt oder ob die Verführungsspielchen tatsächlich stattfinden oder nur noch in der Phantasie dieser beiden Liebesmessis.
Sie haben sowieso schon lange keine Lust mehr auf Sex, Emotionen und Macht. Und letztlich auch auf die Kunst, denn sie sind auch zwei Schauspieler - "Du Text - ich Körper?", die ihr Stück auf ewig wiederholen müssen. Die Frage bleibt, ob in diesem Spiel überhaupt noch etwas von Bedeutung ist, oder ob mans dann nicht gleich ganz lassen sollte. Ein Stück also, das sich vor lauter Langeweile selbst in Frage stellt. Das ist doch auch mal was.
Kathrin Kipp, SÜDWEST PRESSE/Reutlinger Nachrichten, 07.05.2011