Ich gehe wieder auf meine alte Schule. Ich hinterfrage aber nicht, wieso. Auch nicht, warum sie viel größer ist als früher, mit lauter Räumen, die ich nicht kenne. Wir haben einen Lehrer, der sehr unbeliebt ist. Auch dafür weiß ich den Grund nicht. Vielleicht ist er ein Leuteschinder, vielleicht hat er einfach eine komische Frisur. Ich mag ihn zwar auch nicht besonders, aber die anderen aus meiner Klasse hassen ihn regelrecht. Anfangs sind es nur respektlose Sprüche, die seine Autorität untergraben, doch allmählich kippt die Stimmung ins Gewalttätige. Auf dem Schulhof sehe ich sie ihre Köpfe zusammenstecken und etwas aushecken. Lynchjustiz liegt in der Luft. Obwohl ich auf ihrer Seite stehe, beginnen meine Freunde mir Angst zu machen. Die faschistische Dynamik erinnert mich an einen Film mit Jürgen Vogel.
Ich komme zum Kunstraum. Haben wir jetzt überhaupt Kunst? Ich trete ein und sehe meine Freunde um einen Werktisch herum stehen. Auf ihm liegt der verhasste Lehrer. Sein Körper ist zerschmettert. Die Szene sieht aus wie Rembrandts Gemälde „Die Anatomiestunde des Dr. Tulp„. Einer meiner Freunde küsst das Mädchen an seiner Seite, die eine böse Aura umgibt. Sie hat die anderen angestiftet. Mein Freund tritt auf mich zu und erklärt mir lächelnd, wie sie ihn getötet haben, mit genau 250 Hammerschlägen auf seinen Brustkorb. Grauen überfällt mich.
Ich wache auf. Was hätte Doc Freud dazu gesagt? Egal.
Eine Weile lungere ich nur faul herum. Plötzlich fällt mir ein, dass gleich Deutschland spielt. Hastig breche ich auf. Ich schaue das Spiel nicht zu Ende, und gehe stattdessen ins Theater. Man empfängt mich, als hätte man mich schon erwartet. Bezahlen muss ich auch nicht. Als ich nach der Toilette frage, ist der Typ am Einlass jedoch brüskiert. Er schaut mich an, als würde ich nicht hierhin gehören. Vielleicht regt es ihn auf, dass ich nicht bezahlen muss.
Schließlich betrete ich den Bühnenraum, in dem ein großes Zelt steht, fast schon die Jurte eines mongolischen Kriegsherrn. Ich werde mit den anderen Zuschauern hineingeführt. Leute, die wie Hotelbedienstete gekleidet sind, schenken an alle Kakao aus. Das versetzt mich in Hochstimmung. Man weiß hier, wie man mit dem Publikum umgeht. Eine der Hotelbediensteten steht an einem DJ-Pult und erzeugt Geräusche. Ich schaue an die Decke und sehe eine Art Fenster aus Licht. Verschwommene Formen und Muster lösen sich mit unscharfen Aufnahmen von Tausendfüßlern und Ähnlichem ab. Ich stelle mir vor, wie die mongolischen Krieger hier drin nach einem erfolgreichen Raubzug Underground-Goa-Raves veranstalten.
Einer der Bediensteten erzählt uns einen seiner Träume. Er hadert mit dessen Inhalt. Während ihn seine Kollegin langsam auszieht, sinniert er darüber, ob der Traum sich auf seine Beziehung zu seinen Eltern bezieht. Die drei Schauspieler erzählen nacheinander von ihren Träumen, und deren mutmaßlicher Bedeutung. Auch unangenehme, gar albtraumhafte Episoden sparen sie nicht aus. Langsam dämmert es mir, was das Thema des Stücks sein könnte.
Die Grenzen zwischen den einzelnen Szenen sind unscharf, verschwimmen im Licht der Projektionen an der Decke. Innerhalb der Dialoge passieren seltsame Dinge, die keinen Sinn ergeben, und einen doch faszinieren. Ein Schauspieler zieht sich aus und wieder an. Der andere wechselt mitten im Gespräch in eine andere Sprache. Die Dritte nagelt ihre Füße an einen Hocker, was so laut ist, dass es die anderen beiden stört. Ich sehe und staune.
Sie suchen nach dem Wesen des Traums, verzweifeln schier an seiner Flüchtigkeit. Festnageln möchten sie ihn, einfangen und unter Glas ausstellen, doch er wird gasförmig, dringt durch das Glas und materialisiert sich wieder in der Luft, wo er unter der Zeltdecke schwebt. Ich sehe ihnen vergnügt dabei zu, wie sie in die Luft springen und nach ihm greifen, versuchen, seine Beschaffenheit zu ergründen, und dabei immer wieder beim selben Wort landen: Traumhaft. Er lässt sich so schwer fassen, weil er keine Entsprechung findet. Er ist nur durch sich selbst zu beschreiben. Die Schauspieler nähern ihm sich so nah an, wie es nur geht. Wir dürfen ihnen live beim Träumen zusehen.
Die Schauspieler ziehen sich Schlafanzüge an und gehen schlafen. Das Licht geht aus. Wir applaudieren, denn es war schön.
Ich wache auf. Ich glaube, ich habe geträumt. Ich stehe auf, gehe ins Wohnzimmer und setze mich an meinen Laptop. Er spricht mit seinem Mund. „Schön, dass sie es zurückgeschafft haben.“, sagt er. „Wir waren uns da, ehrlich gesagt, unsicher. Aber sie haben sich für weitere Missionen empfohlen. Wir sind noch lange nicht fertig mit ihnen.“
Kay Schier, kreuzer online, LEIPZIG